einfach leben

Des Josefs neue Kleider Im letzten Sommer kam ein recht kleines, aber schweres Päckchen von Tante Maria Silvia. Bunt verziert und aufwändig verschnürt kam es bei uns nach langer Reise von Italien nach Bayern. Muss ein Vermögen an Porto gekostet haben, dachte ich. Und sie hatte ja nicht viel Geld. „Die Tante ist Nonne“, erklärte unsere Jüngste allen. „Es ist aus meinem alten Zimmer“, schrieb die Tante, die inzwischen in ein klostereigenes Altenheim umgezogen ist. Und weiter las ich: „Behandelt ihn gut.“ Ich befreite den geheimnisvollen Inhalt vom nach Lavendel duftenden Seidenpapier. Zum Vorschein kam er: etwa 40 Zentimeter hoch, grässlich angemalt, auf dem Gipsarmen ein kitschiges Jesuskind. Ein heiliger Josef! Eine entsetzliche, geschmacklose Gipsfigur in Farben, die jeden Clown in den Schatten stellte. „Was sollen wir mit dem machen?“ seufzte ich. „Weg damit, zur Caritas! Oder besser noch: entsorgen“, kam mein Mann mir zur Hilfe. Nein, das können wir nicht machen, man entsorgt doch keinen Heiligen, dachte ich hilflos. Nun hatte wieder mal ich die Verantwortung: Behandelt in gut, schrieb die Tante. „Ist doch deine Tante!“ versuchte ich an die Blutbande zwischen ihr und meinemMann zu appellieren. „Aber nicht mein Josef!“ sagte er. 6

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