Spiritualität für die Gegenwart

Kontemplation in Kommunikation Immer wieder wurde in der Geschichte der Spiritualität der Kontemplation (der geistigen Schau und Betrach- tung) ein höherer Wert beigemessen als der Tätigkeit, der Praxis. Diese Sichtweise stammt aus der Antike und hat allmählich ins Christentum Eingang gefunden – eine Fehlentwicklung. Auch die Episode des Besuches Jesu bei den beiden Schwestern Martha und Maria aus dem Lukasevangelium (Lk 10,38-42) scheint auf den ersten Blick in diese Richtung zu weisen: Martha arbeitet hart und besorgt den Haushalt, Maria setzt sich zu Jesus und hört ihm zu; und dann heißt es, es sei Maria, die das Wichtige gewählt habe. Solche Erzählungen laufen Ge- fahr, falsch gedeutet zu werden und zu vielfältigen Miss- interpretationen zu führen, die an der Aussageabsicht vorbeigehen. Kontemplation, die „Schau“ (Gottes), ist ein Ge- schenk. Man kann sie in diesem Sinne nicht üben oder praktizieren. Sie ist Moment und Vollzug einer Bezie- hung der Liebe und Verbundenheit zwischen Gott und Mensch. „Niemand hat Gott je gesehen“, sagt das Johan- nesevangelium (Joh 1,18), „der Sohn aber hat Kunde ge- bracht…“. Das „kontemplative Gebet“ wurde etwa seit den 1970er Jahren in der westlichen Welt zunehmend beliebt – sei es im religiösen Rahmen, sei es in einer Art von religionsfreiem Raum, in dem man zu meditieren versucht. Man übt dann in entsprechender, meist sitzen- der, Körperhaltung zu schweigen, innerlich still und leer zu werden, das Denken loszulassen, abzustellen und dem 99

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