Reformation - damals und heute

68 Gnadenmittel beschenkt ist, ist es doch Tatsache, dass ihre Glieder nicht mit der entsprechenden Glut daraus leben, so dass das Antlitz der Kirche […] der ganzen Welt nicht recht aufleuchtet und das Wachstum des Reiches Gottes verzögert wird. Deshalb müssen alle Katholiken zur christlichen Vollkommenheit streben und […] bemüht sein, dass die Kirche […] von Tag zu Tag geläutert und erneuert werde, bis Christus sich dereinst glorreich darstellt, ohne Makel und Runzeln“ (UR 4). Durch alle Jahrhunderte hindurch bis heute ist es oftmals eine Heraus- forderung, „den Glanz des Heiligen auch durch rußgeschwärzte Schei- ben wahrzunehmen“ (Albert Görres), in einer Institution, der nicht in jeder Hinsicht „die Heiligkeit, Weisheit und Liebe aus den Augen leuch- tet“ 5 : „Die Kirche ist, wie die Sonne, für alle da. Für Gerechte und Un- gerechte, Sympathen und Unsympathen, Dumme und Gescheite; für Sentimentale ebenso wie Unterkühlte, für Neurotiker, Psychopathen, Sonderlinge, für Heuchler und solche wie Natanael, »an denen kein Falsch ist« (Joh 1,47); für Feiglinge und Helden, Großherzige und Kleinliche. Für zwanghafte Legalisten, hysterisch Verwahrloste, Infanti- le, Süchtige und Perverse. Auch für kopf- und herzlose Bürokraten, für Fanatiker und auch für eine Minderheit von gesunden, ausgeglichenen, reifen, seelisch und geistig begabten, liebesfähigen Naturen. Diese lange Liste ist nötig, um klarzumachen, was man eigentlich von einer Kirche, die aus allen Menschensorten ohne Ansehen der Person, von den Gas- sen und Zäunen wie wahllos zusammengerufen ist und deren Füh- rungspersonal aus diesem bunten Vorrat stammt, erwarten kann – wenn nicht ständig Wunder der Verzauberung stattfinden, die uns nie- mand versprochen hat. Heilige, Erleuchtete und Leuchtende sind uns versprochen. Wer sie sucht, kann sie finden. Wer sie nicht sucht, wird sie nicht einmal entdecken, wenn sie jahrelang neben ihm gehen […]“ 6 . Was Josef Ratzinger konstatierte, dass bereits das Wort „Kirche“ bei den allermeisten Menschen Abwehrreaktionen auslöse, dass „Wort und Wirklichkeit Kirche in Misskredit geraten“ seien, dass selbst den Gläu- bigen, „auch solchen, die gestern noch zu den Treuesten gerechnet 5 Görres, Albert: Erneuerung durch Tiefenpsychologie? In: Kasper, Walter / Görres, Albert (Hrsg.): Tiefenpsychologische Deutung des Glaubens? Anfragen an Eugen Drewermann [QD 113], Freiburg i. Br. 1988, 133-174, hier 134. 6 Ebd.

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