Reformation - damals und heute

43 Seit diesen Untersuchungen sind mehr als 40 Jahre ins Land gegangen. Und was damals noch vielleicht zutreffend die jeweiligen Eigenschaften beschrieb, ist heute in der zunehmenden Durchmischung der konfessi- onellen Milieus aufgegangen und wird konfessionellen Zuschreibungen unserer Tage nicht mehr gerecht. Und doch scheinen protestantische Tugenden immer noch unser Land zu prägen: Nach wie vor ist Deutschland Weltmeister im Spenden und Sparen, sofern man dies in diesen Tagen überhaupt noch kann. Wir haben die meisten Orchester und eine einzigartige Lesekultur, den zweitgrößten Buchmarkt der Welt nach den USA. Immer wieder ist ein deutscher Übereifer zu beobach- ten, andere erziehen zu wollen. Wir haben die meisten Krankenbetten in der EU und das beste medizinische Versorgungsnetz. Unser Land ist ein Museenparadies, aber nach wie vor studieren in Deutschland weni- ger Frauen naturwissenschaftliche Fächer als in anderen europäischen Ländern. Deutschland, Lutherland? So direkt wird man das nicht behaupten können, auch wenn ein aktueller Buchtitel dies nahelegt. 2 Gleichwohl sind die Folgen der Reformation bis heute erkennbar und nachvollzieh- bar. Davon ist zumindest die Evangelische Kirche in Deutschland überzeugt: „Als Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung hat die Reformation nicht allein Kirche und Theologie, sondern das gesamte private und öffentliche Leben verändert und bis in die Gegenwart (mit) geprägt. Sie wirkte als Bildungsimpuls, trug zur Ausbildung der moder- nen Grundrechte von Religions- und Gewissensfreiheit bei, veränderte das Verhältnis von Kirche und Staat, hatte Anteil an der Entstehung des neuzeitlichen Freiheitsbegriffs und des modernen Demokratiever- ständnisses – um nur einige Beispiele zu nennen.“ 3 So heißt es im Grundlagentext „Rechtfertigung und Freiheit“, den der Rat der Evan- gelischen Kirche in Deutschland zum Reformationsjubiläum 2017 her- ausgegeben hat. Die Reformation wird darin als eine Freiheitsgeschichte verstanden, die maßgeblich dazu beigetragen habe, die Autonomie des 2 Christine Eichel, Deutschland, Lutherland. Warum uns die Reformation bis heute prägt, München 2015. 3 Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017 – Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, im Auftrag des Rates hrsg. v. Kir- chenamt der EKD, Gütersloh/München 4 2015, 9.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjY4MzQ=