Reformation - damals und heute

42 Die Folgen der Reformation auf katholischer und evangelischer Seite (Pfr. Dr. Marc Witzenbacher) 1. Büchernarren im Museenparadies: wie die Reformation unser Land geprägt hat In den 1960er Jahren führte das Institut für Demoskopie in Allensbach eine Untersuchung durch, um einige Unterschiede zwischen katholi- schen und evangelischen Milieus festzustellen. 1 Man verglich ungefähr die gleichen Bildungsabschlüsse, das ähnliche Umfeld – Land, Klein- stadt, Großstadt – und stellte u.a. fest, dass Protestanten deutlich mehr Bücher kauften, unbefangener Buchhandlungen betraten und sich bes- ser in der Verlagslandschaft auskannten als Katholiken. 57 Prozent der katholischen, aber nur 45 Prozent der evangelischen gaben damals an, nie ein Buch zu lesen. Mehr als doppelt so viele Protestanten lasen Proust, Tucholsky und Sartre im Vergleich zu ihren katholischen Nach- barn, 45 Prozent der Protestanten hatten Werke von Thomas Mann im Regal, für die sich nur 33 Prozent der Katholiken begeistern konnten. Außerdem kauften Katholiken mehr konfessionelle Zeitschriften, wäh- rend Protestanten lieber zu verschiedenen „Illustrierten“ griffen. Schon damals erwarben Katholiken vorzugsweise religiöse Werke aus dem Herder-Verlag, während die Protestanten mehr für die literarische Mo- derne schwärmten. Aber noch andere signifikante Unterschiede brachte die Studie zum Vorschein. Protestanten begingen häufiger Selbstmord als Katholiken, sie teilten ihr Geld strukturierter ein, fotografierten besonders gern, nahmen die Körperhygiene ernster und waren ordnungsliebender als ihre katholischen Nachbarn. Insgesamt verfügten sie über die höheren Bildungsabschlüsse und hatten weniger Kinder. Protestanten investier- ten sehr gerne in Lebensversicherungen und lehnten Aktien ab, protes- tantische Frauen führten Haushaltsbücher, benutzten aber keinen Lip- penstift. 1 Vgl. Gerhard Schmidtchen, Protestanten und Katholiken. Soziologische Analyse konfessioneller Kulturen, Bern/München 1973, 82 ff.

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