Aus den Klauen der Armut befreien

Pallottiner unterhalten Heime, Internate und Schulen in Indien

Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen: Ein Dach über dem Kopf zu haben, aufgenommen und angenommen zu werden. Auch Maria und Josef suchen in der Weihnachtsgeschichte ein Dach über dem Kopf, das ihnen Geborgenheit und Schutz gibt. Aber damals wie heute machen Menschen die Erfahrung, dass kein Platz für sie da ist. Wir Pallottiner wollen Menschen die Erfahrung schenken, dass sie angenommen und aufgenommen sind. So bieten wir Heime, Internate und Schulen an.

Das Bedürfnis nach Obdach ist vor allem in einem Land der Gegensätze wie Indien groß: Bittere Armut und unermesslicher Reichtum liegen dicht nebeneinander, was auch an der Jahrhunderte alten Tradition des Kastensystems liegt. Gerade christliche Familien gelten oft als Unberührbare oder Kastenlose. Dabei ist Indien vor allem lebendig und bunt. Und die Bevölkerung wächst immer mehr. Indien könnte in diesem Jahr 2023 das bevölkerungsreichste Land vor China werden mit über 1,4 Milliarden Menschen. „Der Bedarf an Wohnraum ist deshalb groß“, sagt Missionssekretär Pater Reinhold Maise. Auf seiner jüngsten Reise durch das Land ist ihm aufgefallen, dass im ganzen Land sehr viel Werbung für Zement gemacht wird; für das Baumaterial, das für die Herstellung von Beton nötig ist. Vielleicht könne man sogar von einem Bauboom sprechen?

Bedarf an Wohnraum wächst

„Auch bei den Pallottinern ist dieser Trend festzustellen“, berichtet Pater Maise. „An den allermeisten Orten, die ich besucht habe, geht es ums Bauen: Die Bereitstellung von Wohn- und Lebensraum ist das große Thema. Hier gibt es großen Bedarf.“ Ein paar Beispiele: Schulen und Hostels (Internate) müssen überall erweitert werden, da die Klassenräume und Schlafsäle nicht ausreichen, um alle Schülerinnen und Schüler, die anfragen, aufnehmen zu können. Die bestehenden Gebäude sind vor ca. 25 Jahren gebaut worden. Renovierungen sind jetzt dran, vor allem der Duschen und Toiletten.

Pater Reinhold Maise SAC

„Damit Menschen aus den Klauen der entwürdigenden Armut herausfinden, brauchen sie ein stabiles Dach über dem Kopf. Den Hausbau zu unterstützen ist nach wie vor unbedingt notwendig.“

Vor allem für Menschen in ländlichen Gegenden ist der Ort der Kirche sehr wichtig. „Der Kirchenraum ist für sie ein Ort der Heimat. Hier kommen sie zusammen und feiern gemeinsam ihre Hoffnung“, weiß der Missionssekretär. „Ein solcher Ort verbindet und stärkt sie.“

Gemeinschaft heilt

Neben den Internaten und Schulen unterhalten die Pallottiner auch Heime, zum Beispiel für arme und alte Menschen wie das Pallotti Shantidhama in Dornahalli, in einer abgelegenen Gegend, etwa 30 km von der Stadt Mysore im indischen Bundesstaat Karnataka entfernt. Es ist ein Heim, das sich nicht nur auf die Pflege alter und mittelloser Menschen beschränkt, unabhängig von Geschlecht, Kaste und Glauben, sondern auch für eine Gemeinschaft durch die Pallottinerpriester und Helferinnen der Rosenkranzschwestern sorgt. Denn Gemeinschaft heilt, so die Erfahrung. Sie reduziert das Gefühl der Einsamkeit und sorgt für mehr Selbstwertgefühl und Vertrauen.

Bei den meisten Bewohnern von Pallotti Shantidhama handelt es sich um geistig beeinträchtigte Personen, die von den Straßen der Stadt aufgelesen wurden, wo sie als „unerwünschte Menschen“ in Situationen lebten, in denen sich niemand um sie kümmerte. Sie führten ein Leben auf der Straße in einer schmutzigen Umgebung, mit minimaler Nahrung und unsauberer Kleidung. Bevor sie aufgenommen wurden, waren die meisten Bewohner von Pallotti Shantidhama auf die Großzügigkeit der örtlichen barmherzigen Samariter angewiesen und einige von ihnen überlebten nur mit Lebensmitteln, die sie in den Mülltonnen der Straßen und Restaurants fanden.

Und die Armut wächst: Täglich verzeichnen die Pallottiner Anfragen zur Neuaufnahme. Aber die Unterbringungsmöglichkeiten sind alle ausgeschöpft. Das soll sich bald ändern, da der Bau einer weiteren Etage geplant ist.

Gowriamma aus Indien

Die Strategie des Hauses

Sobald diese mittellosen Menschen von der Straße nach Hause gebracht werden, erhalten sie gutes Essen, ein Bad, eine saubere Rasur und gute Kleidung zum Anziehen. Dann werden sie zu einem psychiatrischen Arzt gebracht, der ihnen die ersten Medikamente verabreicht. Sobald sie zur Normalität zurückgefunden haben, werden sie von professionellen Betreuern beraten. Durch die Beratung erholen sich die Betroffenen von ihrer psychischen Störung und geben nach und nach die Namen der Orte preis, aus denen sie stammen. Dann werden ihre Angehörigen kontaktiert und sie kehren nach Hause zurück. Die Personen, die sich nicht an ihren ursprünglichen Wohnort erinnern können, werden zu ständigen Bewohnern des Heims. Derzeit gibt es 35 Bewohner, zwei Betreuer, zwei Angestellte, zwei Schwestern der Kongregation Mount Rosary und zwei Pallottinerpater.

Eine lange Tradition: die Schulen und Internate

Schon von Beginn an wurden in den abgelegenen Stationen der Raipur Mission Schulen und Hostels gebaut. Hostels sind mit Internaten, Boardings vergleichbar. In diesen wohnen die SchülerInnen während der Schulzeit. Sie sind also keine Waisenhäuser oder Kinderheime. Die intensivste Bauzeit war vor etwa 30-25 Jahren. Damals wurden sehr viele Hostels und Schulen gebaut. Denn hier legten die Mitbrüder ihren Schwerpunkt in der pastoralen Arbeit: Bildung als Weg heraus aus der Armut. Insgesamt gibt es heute mehr 30 Einrichtungen für bedürftige Kinder (Schulen und Hostels, aber auch Häuser für Straßenkinder, Waisen; Raipur Provinz: 11 Hostels; Nagpur Provinz: 6 Hostels und 4 Schulen; Tamil Nadu Provinz: 5 Kinderheime, eine große Schule.

Jenifer aus Madurai in Indien

Manche Gebäude sind nun in die Jahre gekommen. „Aufgrund der Bauweise und der Witterung verbrauchen sich die Gebäude schneller als bei uns“, erzählt Missionssekretär Pater Reinhold Maise. Die Dächer sind undicht, Wasser dringt ein; die Mauern bröckeln; Toiletten und Waschräume müssen aus hygienischen Gründen erneuert werden; ein neuer Farbanstrich macht alles freundlicher; Lichtinstallationen müssen ausgebessert werden und die technischen Voraussetzungen in den Schulen den Notwendigkeiten angepasst werden; Mauern und Zäune müssen gebaut werden, um die Kinder und auch die Gebäude vor Vandalismus zu schützen. Oftmals sind die Dächer noch mit Asbestplatten belegt, die nun brechen und unbedingt ausgewechselt werden müssen. Deshalb stehen heute Renovierungsarbeiten an zahlreichen Gebäuden an.

Da die Schülerzahlen immer mehr ansteigen sind auch Erweiterungsbauten an den Schulen und Hostels notwendig. Stockwerke werden aufgesetzt, um die Anzahl der Klassenräume zu erhöhen und um grundsätzlich beengte Situationen aufzulösen.

Diese 30 Einrichtungen, sowie eine Reihe von Pfarreien, Ausbildungshäuser und Pastorale Zentren sind in die Verantwortung der Pallottiner in Indien gelegt. „Wir möchten sie in ihrer Arbeit unterstützen, indem wir die Gebäude mit in den Blick nehmen und dafür sorgen, dass die Menschen ein sicheres Dach über dem Kopf haben“, versichert Pater Maise.

Hintergrund: Indien ein vielseitiges Land

Eine Erkenntnis hat Missionssekretär Pater Reinhold Maise von seinen Indien-reisen mitgebracht: Das Indien gibt es nicht. 30 Staaten haben sich zusammengeschlossen, um „Indien“ zu bilden. In jedem Staat gibt es mindestens eine eigene Sprache. Die Art zu kochen und zu essen unterscheidet sich im Süden von der im Nordosten. Der Westen ist sehr westlich orientiert und geprägt, während sich die Kulturen im Osten sehr ihre eigenen Traditionen bewahrt haben. „Mir sind Menschen begegnet, die im Wohlstand leben. Ich habe aber auch Dörfer besucht, in denen die Menschen in einfachsten, mit Palmblättern oder Wellblech gedeckten Häusern leben müssen und als Tagelöhner arbeiten“, erzählt Pater Maise.

Indienreise von Pater Reinhold Maise

Er habe bei 35 Grad Celsius und hoher Luftfeuchtigkeit geschwitzt, während er im Nordosten bei 10 Grad Celsius gefroren habe. Es gab Sonne pur, aber über Tage hin auch bedeckten, regnerischen Himmel, sogar Schnee. Üppige Vegetation mit Kokosnusspalmen, Ananaskulturen, Teeplantagen, Bananenstauden, Orangenbäumen bis hin zu trockenen Savannenlandschaften. „Ich kann nun besser verstehen, was der Slogan bedeutet, mit dem die Inder selbst ihr Land beschreiben: Unity in Diversity. Einheit in aller Unterschiedlichkeit.“

Was vielleicht tatsächlich allen Landesteilen und den Indern von Nord bis Süd und Ost bis West gemeinsam ist, ist die Liebe zu Farben. Indien ist bunt: Saris in allen Farbtönen, Kirchen – innen und außen – in kräftigen Farben gestrichen und gestaltet. Früchte gibt es in allen Farben und Formen. Jeder Stamm hat seine eigene Farbe für die traditionelle Kleidung. Die Buntheit in Indien – ein Ausdruck für die Lebendigkeit, die diesem Land innewohnt.

Die bald 75-Jahre währende Geschichte der Präsenz der Pallottiner in Indien zeigt sich auch darin, dass die Mitbrüder älter werden und die Gemeinschaften auch Häuser brauchen, die altersgerecht gebaut und eingerichtet sind.

Um für Menschen dazu sein und sie in welcher Weise auch immer zu unterstützen, sei es in Schulen, sei es Pflegeeinrichtungen, sei es in Training-Centers, sei es in Women-Empowerment-Projekten – immer ist dafür ein Dach über dem Kopf als erstes notwendig. Hier die Mitbrüder in Indien weiterhin zu unterstützen – darin sehe ich auf die nähere Zukunft hin mein Auftrag als Missionssekretär, denn wir stehen alle „unter einem Dach“.

Zeittafel Indien

1951 kamen die ersten beiden deutschen Pallottiner, P. Lorenz Scheu und P. Werner Hunold nach Indien und übernahmen die Mission in Raipur.
Von dort ausgehend entwickelte sich die pallottinische Präsenz über die folgenden Jahre:

15.9.1980: Errichtung einer Regio Indien „Erscheinung des Herrn“

26.3.1988: wird diese zur Provinz.

6.1.2002: die eine Provinz wird aufgeteilt in drei juristische Einheiten: „Provinz von der Erscheinung des Herrn“ (Nagpur Province), „Provinz von der Aufnahme Mariens in den Himmel“ (Bangalore Province) und „Regio Licht Christi“ (Region Raipur)

22.12.2011: die Regio Raipur wird Provinz „Licht Christi / Light of Christ / Lumen Christi.

6.1.2020: Die Bangalore Province wird in drei Einheiten aufgeteilt: Bangalore Province, Province „Our Lady of Good Health“ (Tamil Nadu Province) und Regio „Gloria Dei“

Im Jahr 2026 feiern die Pallottiner die 75-jährige Präsenz in Indien. Was mit zwei Mitbrüdern begonnen hat, ist heute angewachsen zu einer Größe von ca. 500 Mitbrüdern, die in den allermeisten (19) der 29 Staaten tätig sind. Ebenso werden die Missionsstationen in Taiwan, Sri Lanka, Sambia, Philippinen von indischen Pallottinern betreut.

– Ein Dach über dem Kopf – erfahren Sie mehr über unser aktuelles Hilfsprojekt –

Veronica Mary, bei der im Alter von drei Jahren Polio diagnostiziert wurde

Veronica Mary

Heilend wirkt im Pallotti Shanthidhama im indischen Dornahalli vor allem die Gemeinschaft

Gowriamma

Gowriamma

Kämpfte allein und mittellos auf der Straße ums Überleben

Jenifer aus Madurai

Jenifer

Sie bekommt in der Pallotti-Schule in Madurai eine kostenlose Ausbildung. Bildung als Weg aus der Armut!

Bericht: Alexander Schweda
Bilder: Pater Reinhold Maise

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